Interview Prof. Decker-Voigt

Image

Das Feedback der Patienten ist eminent



Interview mit Prof. Hans-Helmut Decker-Voigt Ph. D. (Dr. phil.) M.A.,

(Psychologe, Lehrstuhlinhaber für Musiktherapie und Direktor des
Instituts für Musiktherapie der Hochschule für Musik und Theater Hamburg)

zu den psychischen Wirkungen von Musik im Kontext Rehabilitation und Gesund Sein.

F.: Gibt es einen klaren Unterschied zwischen der Musiktherapie und der sogenannten funktionalen, rein rezeptiven Musik?
A.: Zum Beispiel den, daß Musiktherapie die Anwesenheit einer qualifizierten musiktherapeutischen Fachkraft voraussetzt. Sie kann den Patienten mit seinem psychischen, seinem emotionalen und seinem ganzheitlichen körperlichen Sein in der Krankheit begleiten. Alle übrigen Bereiche, in denen der Patient mit Musik allein ist, wo die Funktion von Musik allein und nicht mehr die therapeutische Persönlichkeit auf den Patienten wirkt, wären ganz klar in Richtung funktionaler Musik zu sehen.

F.: Wenn ein Musiktherapeut in einer Klinik arbeitet, wie Sie das in der Curschmann-Klinik für kardiologische Rehabilitation gemacht haben, wie sieht das dann konkret aus?
A.: Konkret sieht das so aus, daß wir in einem ersten Setting über die Bedeutung und die Erfahrung der Musik im Leben dieses Patienten reden – also eine Art musikalische Anamnese machen. Und in Verbindung mit der Herzerkrankung wird mit dem Patienten nachgeschaut, wo sich die Ecken, die Haken, die Probleme und die Belastungen in seinem Lebenskonzept von ihm selbst sehen lassen. Und dann gibt es zum Beispiel in der aktiven Musiktherapie die Möglichkeit, wenn man sich „in der Enge fühlt“, dieses Gefühl von "in der Enge fühlen", unter Druck, auch in die Improvisationsarbeit einzubringen.

"Können Sie sich vorstellen", frage ich dann, "daß Sie einmal das Gefühl Ihrer Enge auf Instrumente übertragen, auf das Summen von einem Ton übertragen?" Dann gehen wir mit dem Patienten in dessen Enge – musikalisch. Natürlich ist das Ziel dabei, daß er in dieser Arbeit im Gespräch, wie in der Musik, auch das erfährt, und erleben kann, wonach er sich sehnt: Weite. Enge ist, nicht nur mit Angst verbunden, woraus viele Herzerkrankungen und -belastungen entstehen.Enge ist auch oft ein sehr hilfreiches Symptom dafür, daß etwas der Belastbarkeitsgrenze entgegenjagt. Ohne das Gefühl von Enge und Angst, ohne eine Erkrankung, würde ja ein Patient in diesem ihn weiterbelastenden Konzept weiterjagen. So, und in der Musiktherapie können wir sowohl in dem eigenen instrumentalen Ausdruck diese Probleme praktisch darstellen und miteinander betrachten, als auch in gehörter Musik.

F.: Sie haben ja in der Curschmann-Klinik Timmendorfer Strand mit dem Chefarzt Prof. Maetzel zusammen ein Forschungsprojekt
"Musiktherapie in der cardiologischen Rehabilitation" durchgeführt. Arbeiten Ihre ehemaligen Patienten zu Hause weiter mit Musik?

A.: Patienten, die in der stationären Phase bei uns waren und entlassen sind, haben alle nach zwei Monaten einen Brief bekommen und eine Musikkassette. Auf der Kassette war die Musik, die in der Therapie in der Klinik mit ihnen zusammen gehört und gespielt wurde. Das Feedback der Patienten ist eminent. Wir haben über 70 % Rücklaufquote von Patienten gehabt, die sagten: wir haben dieses Ritual des Musikhörens mit dieser Kassette und auch anderen Musiken mindestens zwei- bis dreimal in der Woche mit einer halben Stunde zu einem festen Bestandteil unseres Arbeitens mit uns selbst gemacht.

F.: Als Präsident des 8. Weltkongresses für Musiktherapie im Juli ´96 haben Sie den Trend hin zu mehr rezeptiver Musik bemerkt.
Findet da ein Aufeinandergehen verschiedener Richtungen statt - kann man das so sagen?

A.: Ich möchte es so differenzieren. Auf dem Weltkongreß ist nicht ein Trend zunehmender rezeptiver Verfahren in der Musiktherapie zu beobachten gewesen, sondern wir, speziell in der deutschen Musiktherapieszene, haben in den letzten 15 Jahren weitgehend aktive Musiktherapie, improvisierte Musik entwickelt. Erst bei dem Blick über die eigenen Grenzen hinaus - es waren ja 43 Nationen aus allen Kontinenten anwesend - haben wir mit Erstaunen festgestellt, wieviel umfangreicher die Entwicklung der rezeptiven Verfahren in anderen Ländern ist.

F.: Können Sie sich vorstellen, daß und auch wie ein niedergelassener Arzt im Kontext chronischer Erkrankungen mit seinen Patienten mit Musik arbeitet?
A.: Musik in der Medizin heißt, daß sich ein Arzt, auch sehr viel mehr als bisher, in der Anamnese danach erkundigen sollte, wie die Beziehung des Patienten zu Musik ist. Und wenn da ein besonders guter Bezug vorliegt, dann wäre das eine sehr gute Hilfe, wenn der Arzt auf den wichtigen Faktor "Musik zu Hause" aufmerksam machte.

F.: Was kann ich als Patient tun, wenn ich Musik und ihre heilsame Wirkung unterstützend für die Behandlung meiner Krankheit wählen will?
A.: Ein Mensch, der in einem Erkrankungszustand oder in einer Rekonvaleszenz lebt, oder sich prophylaktisch vor Krankheiten schützen will, sollte nicht sofort einfach zu seiner Musik nach Hause rennen und sagen „ach wie gut, ab heute ist Musik sozusagen Medizin für mich, weil mir das mein Arzt empfahl". Er sollte sich einstimmen und z.B. etwas lesen: wie Musik mit gezielter Wahrnehmung in ihren einzelnen Bausteinen (Kraft, Rhythmus, Melos also Melodie) untersucht werden kann und was sie mir auf mich selbst bezogen sagt Das kann ein Patient lernen – aber er muß es lernen!